Putsch mit deutschem Segen
40 Jahre nach dem Militärputsch ist die deutsch-türkische Waffenbrüderschaft weiter intakt
Die Geschichte des Militärputsches in der Türkei im September 1980 beginnt schon im Januar. Am 24. Januar 1980 beschloss die kapitalfreundliche Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Süleyman Demirel ein Strukturanpassungsprogramm, das die neoliberale Wende des Landes vom Protektionismus zur Weltmarktöffnung und zu einer exportorientierten Ökonomie einleiten sollte. Gewerkschaften und Linke stemmten sich mit einem von Massen getragenen heftigen Widerstand dagegen. Sehr schnell stand fest, dass ein solches Programm nicht ohne die gewaltsame Stabilisierung der inneren Kräfteverhältnisse zugunsten der herrschenden Klassen durchgesetzt werden kann. So übernahm am 12. September 1980 eine Militärjunta unter General Kenan Evren mit offener Unterstützung der Nato-Partnerländer die Macht in der Türkei.
Ein wichtiger Grund für diese Unterstützung war die internationale politische Entwicklung, die für die imperialistischen Strategien Rückschläge bedeutete: 1979 begann die iranische Revolution. In Afghanistan war die Rote Armee einmarschiert, und der Kommunist Babrak Karmal hatte die Regierung übernommen. Der Kalte Krieg hatte mit dem Nato-Doppelbeschluss im Dezember 1979 einen neuen Höhepunkt erreicht. Unter diesen Umständen gewann die »Stabilität« des Nato-Mitglieds Türkei eine besondere Bedeutung. So begann am 12. September 1980 ein Prozess, der die Voraussetzungen für die autoritär-neoliberale Organisierung des türkischen Kapitalismus schaffen sollte.
Politische, finanzielle und militärische Unterstützung erhielten die Träger dieses Prozesses insbesondere aus der Bundesrepublik. Das erste internationale Abkommen, das die Junta unterzeichnete, war der Vertrag mit der sozialliberalen Bundesregierung über Polizeihilfe. Noch im Dezember 1980 lieferte die Bundesrepublik die ersten Fahrzeuge und Waffen an die Türkei aus. Und Bundestagsabgeordnete stellten nach Türkeibesuchen fest, dass das Land keineswegs diktatorisch regiert werde und die Militärjunta großen Rückhalt in der Bevölkerung habe.
Massive Menschenrechtsverletzungen, Todesurteile, Folterungen, außergerichtliche Hinrichtungen und Massenverhaftungen waren keinen Bericht wert. Für den deutschen Imperialismus hatte der Auf- und Ausbau des militärisch-industriellen Komplexes der Türkei Priorität. Heute, 40 Jahre nach dem Militärputsch, fungiert dieser Komplex als ein profitabler Vertriebsmechanismus für deutsche Rüstungsgüter. Weitreichende Kooperations- und Lizenzvereinbarungen helfen deutschen Rüstungskonzerne, die Rüstungsexportrichtlinien der Bundesrepublik bequem zu umgehen.
Graue Wölfe als Auftragskiller der Junta
Dank zahlreicher Belege, etwa aus Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen, wissen wir heute, dass die bundesdeutsche Unterstützung der türkischen Machthaber nicht nur auf Hilfen in der Türkei begrenzt war, sondern auch in der BRD fortgeführt wurde. Die Junta hatte sich zum Ziel gesetzt, auch im Ausland für »Ordnung« zu sorgen. Denn Selbstorganisationen der kurdischen wie türkeistämmigen Migrant*innen in Europa, deren Handlungsfähigkeit durch die politischen Flüchtlinge nach dem Putsch gestärkt worden war, sorgten mit Aktionen für Kritik an der Militärdiktatur in der europäischen Öffentlichkeit.
Der türkischen Generalität war das mehr als ein Dorn im Auge. Auch deshalb beschloss sie, »die schweigende Mehrheit der Türken im Ausland wieder für den Staat zu gewinnen« und »den separatistischen und terroristischen Feinden den Krieg zu erklären«. So begann die berüchtigte »Befriedungsoperation« (Huzur Operasyonu), die Bundesrepublik wurde zum Haupttätigkeitsfeld.
Koordiniert wurde die Operation durch Angehörige des türkischen Geheimdienstes MIT in den Konsulaten. Zunächst rückten führende Köpfe der armenischen Untergrundorganisation Asala ins Fadenkreuz. Zivilisten aus dem Umfeld der neofaschistischen Grauen Wölfe wurden beauftragt, diese zu liquidieren. Auch politische Flüchtlinge wurden zum Abschuss freigegeben.
Die türkischen Neofaschisten hatten immer eine gute Beziehung zum deutschen Staat. So war die neofaschistische Partei der Nationalistischen Bewegung MHP die erste türkische Partei, die in Westdeutschland tätig wurde. Am 9. April 1973 wurde die MHP-Auslandsvertretung in Kempten offiziell eröffnet. Bis Ende Juli 1976 organisierte die MHP ihre Parteiarbeit legal und mit Wissen der Bundesbehörden. Die pro forma Auflösung am 28. Juli 1976 war keineswegs von deutscher Seite gewünscht, sondern das Ergebnis eines Urteils des türkischen Verfassungsgerichts, das türkischen Parteien verbot, Auslandsvertretungen zu eröffnen.
Doch die Beziehungen der Neofaschisten reichen noch weiter zurück. So war der MHP-Gründer Alparslan Türkeşein loyaler Kollaborateur des Dritten Reichs. Ein Geheimbericht der Reichssicherheitspolizei an das Auswärtige Amt setzt sich für die Zusammenarbeit mit ihm ein. Türkeş machte sich die nationalsozialistische Idee zu eigen und bezeichnete sich lange selbst als Nationalsozialist.
Auch nach dem Krieg wurden Beziehungen aufrechterhalten. So lud der damalige NPD-Chef Adolf von Thadden1970 Türkeş in die BRD ein. Deutsche Neonazis sahen Graue Wölfe als »Kameraden« an, und Türkeş forderte in einem Schreiben als Parteivorsitzender von seinen Gefolgsleuten in Deutschland die verstärkte Zusammenarbeit mit der NPD. In seinem Brief vom 28. Juli 1977 schrieb Türkeş: »Für das Erreichen der vorgegebenen Ziele ist die bestehende Zusammenarbeit zwischen der NPD und unserer Partei sowie ihre Erfahrungen und Methoden gemäß den Anweisungen unserer Parteizentrale zu nutzen.« Von daher ist es nicht überraschend, dass bisher kein einziger Naziangriff auf Vereine der Grauen Wölfe in der Bundesrepublik bekannt ist – zumindest dem Autor dieser Zeilen nicht.
Türkische Neofaschisten hatten aber auch enge Kontakte zur CDU und CSU sowie zu höchsten Stellen in Bundesbehörden. Der damalige bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß (CSU) traf am 1. Mai 1978 Türkeşpersönlich und versprach ihm tatkräftige Unterstützung. Im November 1980 ergriff der bayerische Innenminister Georg Tandler (ebenfalls CSU) öffentlich Partei für die Grauen Wölfe und erklärte der Presse: »Die MHP und die Türk-Föderation setzen sich im Rahmen der Gesetze der Bundesrepublik für die Interessen der türkischen Republik und der türkischen Nation ein.«
Weitere Unterstützung fanden die Grauen Wölfe bei der Gründung ihrer Föderation der demokratisch-idealistischen türkischen Vereine in Europa, bekannt als »Türk-Föderation«. Diese Organisation wurde am 17. und 18. Juni 1978 in einem vom CDU-Mitglied und Stadtverordneten Hans-Eckhardt Kannapin gemieteten Saal im hessischen Schwarzenborn gegründet. Kannapin verschaffte zudem führenden Grauen Wölfen, die in der Türkei als Mörder steckbrieflich gesucht wurden, durch angebliche Beschäftigungen in seinem fiktiven »Türkei-Institut« Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse in der BRD. Einige dieser Leute waren in das Papstattentat 1987 verwickelt.
Im November 1996 kam im Rahmen der sogenannten »Susurluk-Affäre« (1) heraus, wie neofaschistische Mörder wie Abdullah Çatlı, Haluk Kırcı, Oral Çelik und andere von den türkischen Machthabern angeworben wurden. Auf ihr Konto gehen zahlreiche extralegale Hinrichtungen auf Geheiß des türkischen Staates. Dies alles war der Regierung und den Behörden der BRD hinlänglich bekannt.
… und weitere Handlanger
Die »Befriedungsoperation« der türkischen Militärjunta beinhaltete aber nicht nur die Rekrutierung von Grauen Wölfen als Auftragskiller, die laut Putschistenführer General Evren »zur Auslöschung von armenischen Terroristen und kommunistischen Separatisten entscheidendes beigetragen« haben, sondern auch weitere Ziele: Zum einen sollte der Einfluss von »staatsfeindlichen« Kräften in der europäischen Öffentlichkeit gebrochen werden. Zum anderen war es notwendig, »vaterlandsliebende Auslandstürken« wieder an den Staat zu binden.
Gerade diese Ziele jedoch waren weder mit den beschränkten Aktivitäten der Geheimdienstleute in den Konsulaten noch mit den in der Illegalität handelnden neofaschistischen Killern zu erreichen. Deshalb wurde 1982 in Berlin die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, kurz DITIB, gegründet. 1984 wurde ihr Sitz nach Köln verlegt. Sie sollte den linken Selbstorganisationen eine staatsnahe Alternative entgegenstellen, was auch im Interesse des deutschen Staates war.
Von Anfang an war die DITIB der staatlichen Anstalt für Religion in der Türkei unterstellt, wurde aber maßgeblich durch den Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrates der Türkei angeleitet und kontrolliert. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass jegliche Vorschriften des deutschen Vereinsrechts und die »Richtlinien für ausländische Vereine« in der Bundesrepublik für DITIB nicht galten. Während Vereine, die »mehrheitlich von Ausländern gegründet sind«, jede Änderung der Satzung und Vorstandsmitglieder an die Regierungspräsidien anzumelden haben, war ein Verein, der nach deutschem Recht in der BRD gegründet, aber von einem anderen Staat kontrolliert wurde, quasi von allen Vorschriften befreit.
Binnen kurzer Zeit konnte die DITIB, deren Imame von Ankara gestellt werden, in zahlreichen deutschen Städten Moscheevereine gründen und ein beträchtliches Immobilienvermögen anhäufen. Viele Gläubige bevorzugten diese Moscheevereine gegenüber den Hinterhofmoscheen der islamistischen Verbände. Die mit den Spenden der Moscheebesucher*innen erworbenen Immobilien wurden Eigentum des Verbands. Mit Hilfe der entsandten Imame gelang es dem türkischen Staat, seinen Einfluss auf die türkischen Migrant*innen auszuweiten und sie für die nationalistische Staatsideologie empfänglicher zu machen.
Im Laufe der Jahre waren in Deutschland auch zahlreiche türkische Sport- und Kulturvereine entstanden, in denen sich viele derjenigen türkeistämmigen Migrant*innen sammelten, die mit Religion und Nationalismus weniger anfangen konnten. Über die DITIB-Vereine, die häufig als Informationsbeschaffungszentren des Geheimdienstes fungierten, konnte der türkische Staat die säkularen Migrant*innen nicht erreichen.
Um den großen Kreis der entstandenen Sport- und Kulturvereine, Elternvereinigungen oder »Cemiyet« genannten Clubs erreichen zu können, wurden diese nach und nach unter dem Dach von sogenannten »Koordinierungsräten türkischer Vereine«, deren Postanschrift stets mit dem der zuständigen Generalkonsulate identisch sind, zusammengefasst. So entstand in den Folgejahren ein von staatsnahen Vereinen und Verbänden getragenes und je nach Bedarf als eine »Pro-Türkei-Lobby« funktionierendes Netzwerk unter staatlicher Kontrolle. Diese Lobbyorganisationen organisierten und organisieren gezielt Kampagnen gegen türkeikritische Berichterstattung, Personen oder Organisationen. Als angebliche unabhängige und einzig legitime Vertreterinnen der türkischen Community suchten sie die Zusammenarbeit mit bundesdeutschen Behörden – mit Erfolg.
Heute sind laut Angaben der Bundesregierung rund 8.000 türkische Geheimdienstler*innen in der BRD tätig. Von der türkischen Regierung kontrollierte Verbände, allen voran die DITIB, sind im Rahmen der Einführung des islamischen Religionsunterrichts sowie der sogenannten Integrations- oder Islamkonferenzen als Vertreter der türkeistämmigen Migrant*innen anerkannt. Die unselige deutsch-türkische Waffenbrüderschaft gedeiht auch 40 Jahre nach dem Militärputsch weiter prächtig. Zuletzt konnte man diese autoritäre Allianz im Dienste des Neoliberalismus beim Münchener Schauprozess verfolgen, als türkische Kommunist*innen, denen keine Straftaten in der Bundesrepublik vorgeworfen wurden, zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.
Anmerkung:
1) Der Susurluk-Skandal wurde durch einen Verkehrsunfall in der türkischen Kleinstadt Susurluk am 3. November 1996 ausgelöst. Dabei starben vier Insass*innen eines Autos, unter anderem der stellvertretende Polizeipräsident von Istanbul, Hüseyin Kocadağ, und Abdullah Çatlı, ein führendes Mitglied der Grauen Wölfe, der 1990 aus einem Schweizer Gefängnis ausgebrochen war, wo er wegen Heroinhandels einsaß, und per Interpol-Haftbefehl gesucht wurde. Çatlı war auch für die Ermordung von sieben Mitgliedern der Arbeiterpartei der Türkei verantwortlich und pflegte Kontakte zu Rechtsterroristen in zahlreichen Ländern; er unterstützte auch den Papstattentäter Mehmet Ali Ağca. Auch der Parlamentsabgeordnete der Partei des Rechten Weges (DYP), Sedat Edip Bucak, Großgrundbesitzer und Führer von Dorfschützereinheiten, saß im Autowrack. Er überlebte den Unfall. Außerdem fand die Polizei im Auto Drogen und mehrere Waffen und zahlreiche gefälschte Pässe von Abdullah Çatlı.