Die Türkei im Abgrund?
Über die aktuelle türkische Finanz- und Wirtschaftskrise
Die Zahlen sprechen für sich: Obwohl das Bruttoinlandsprodukt laut der staatlichen Statistikbehörde TÜIK im zweiten Quartal 2022 um 7,6 Prozent gewachsen ist und positive Prognosen abgegeben werden, steckt die Türkei in einer tiefen Finanz- und Wirtschaftskrise, welche die dramatische Situation der Werktätigen erheblich verstärkt. Die Inflation galoppiert von einem Rekord zum anderen, die Landeswährung Lira stürzt weiter ab, breite Bevölkerungsteile verarmen immer schneller, eine Bankrottwelle überrollt Klein- und Kleinstunternehmen und der Hegemoniekampf zwischen den unterschiedlichen Kapitalfraktionen verschärft sich immer mehr. Die autoritär-neoliberale Politik, die von Erdogan mit Hilfe seiner Präsidialdiktatur repressiv durchgesetzt wurde, scheint an ihre Grenzen gekommen zu sein. Die Wählerbasis des AKP-Palast-Regimes bröckelt weiter und auch innerhalb der herrschenden Klassen wird Widerspruch wieder laut artikuliert. Zwar kann man bislang nicht von einer breiten gesellschaftlichen Mobilisierung gegen die Regierung sprechen, dennoch flammen trotz massiver Repression kleinere und größere Protestbewegungen auf. Durch die derzeitige ökonomische Entwicklung gerät Staatspräsident Erdogan immer mehr unter Druck. Aber ob er bei den im Juni 2023 angesetzten Präsidentschaftswahlen abgestraft wird, ist aufgrund des zaghaften Widerstandes der bürgerlichen Opposition noch nicht klar vorauszusagen.
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